Aus Anlass des Welt-Autismus-Tages, der erstmals 2007 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen worden war, widmete sich das Kompetenzzentrum Autismus Schwaben Nord des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. am Donnerstag bei einer Fachveranstaltung der Frage, wie Frauen ihre Autismus-Spektrums-Störung wahrnehmen und wie man sie fördern könne.
Mädchen und Frauen verhalten sich anders als die männliche Seite. Das ist bei Mädchen und Frauen mit Autismus nicht anders. Rebecca Klein, selbst Autistin, die nicht sprechen kann, aber mit einer Kommunikationshelferin schreiben kann und bekannt ist durch ihre Bücher, brachte es in ihrem Impuls auf den Punkt. "Wir sind Frauen wie Ihr, genauso wie Männer Männer sind. Als Puzzleteil des Ganzen gehören wir doch alle zusammen. Wir sind Teil der Menschheit und brauchen nur eine besondere Unterstützung."
Welche dies sein kann und muss, dafür bedarf es aber einer klaren Diagnose. Besonders bei Mädchen
Sonja Jacobs vom Kompetenzzentrum Autismus Schwaben-Nord des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. (re.) hatte Birke Opitz-Kittel, Vorstandsmitglied des Vereins Autismus Deutschland e. V. als Referentin dafür gewonnen, über das Thema Frauen und Autismus zu sprechen.Bernhard Gattner
und Frauen mit Asperger-Autismus ist es nicht so einfach, diesen zu diagnostizieren. Asperger-Autisten zeichnen sich in den meisten Fällen durch eine normal ausgeprägte Intelligenz aus. Nur ihre Fähigkeit, nichtsprachliche Signale wie Gestik, Mimik und Blickkontakt bei anderen Personen zu erkennen, sie auszuwerten oder selbst auszusenden, ist beeinträchtigt. Dadurch erscheint ihr Verhalten merkwürdig und ungeschickt.
Birke Opitz-Kittel, Mutter von fünf Kindern, glücklich verheiratet, hat selbst durchgemacht, was es heißt, erst im Alter von 37 Jahren als Autistin diagnostiziert zu werden. "Wäre es früher gewesen, hätte ich mir vieles erspart. Es wäre sicherlich um vieles besser gewesen", sagte sie in ihrem Vortrag. "Noch immer wird der männliche autistische Maßstab angelegt - und viele autistische Frauen fallen durch das Raster", so erklärt sie auch für sich die späte Diagnose. Heute wirbt Opitz-Kittel als Mitglied des Vorstandes des Vereins Autismus Deutschland e. V. - Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus für die Anliegen insbesondere von Mädchen und Frauen mit Autismus.
Sie sprach über sich selbst und hat es inzwischen auch vielfach beobachtet. Mädchen und Frauen stehen wegen ihres eher zurückhaltenden Verhaltens am "unsichtbaren Ende" des Spektrums. Das hat seinen Grund. Mädchen und Frauen würden dazu neigen zu analysieren, wie andere sich verhalten, dann zu kopieren, zu imitieren und sich so zu maskieren sich, "um ja nicht aufzufallen, um immer perfekt zu sein, weil sie den Wunsch haben, dazuzugehören. " So Opitz-Kittel. Dieses Verhalten hätte aber Folgen. "Jeder von uns zahlt für die Anpassung einen anderen Preis und niemandem, wirklich niemandem, steht es zu, diesen zu beurteilen und möglicherweise für bezahlbar zu halten."
Sie erzählte, was sie alles tat, um nicht ausgelacht zu werden. Sie lernte Regeln. Auch die, dass Mädchen und Frauen gerne täglich ihre Kleidung wechseln, auch wenn sie gar nicht schmutzig sei. Für sie eine unsinnige Regel. Sie passte sich dennoch an. Weil sie die anderen Kinder nicht verstand, wurde sie trotz allen Mühens gehänselt und gemobbt.
Aber es war nicht nur das. Das Haus zu verlassen, unter die Menschen zu gehen, helles Licht auszuhalten, den Lärm, die vielen Stimmen und Geräusche um sie herum, all das koste ihr viel Kraft, "auch heute noch", gesteht sie ein. Heute zieht sie sich deshalb für eine Stunde, manchmal länger, manchmal auch Tage in völlige Stille zurück. Als Kind weckte sie sich nachts mit dem Wecker um zwei Uhr auf. Ich mochte keine Sonne, die stillen ruhigen Nächte waren mir alles." Aber sie lernte im Laufe der Zeit, ihre "Maske" zu verbessern. "Ich wechselte täglich die Kleidung, ich lächelte auf jeden Fall und wenn ich rausgehe, schalte ich auf meinen Überlebensmodus."
Frauen mit Autismus bringen dafür besondere Eigenschaften mit. Sie würden genau beobachten, um die Situation besser zu verstehen, bevor sie selbst handeln würden. Auch beobachte sie, dass sie gerne Nicht-Sachbücher lesen, um aus den fiktiven Geschichten Gedanken und Gefühle besser zu verstehen. Auch Fernseh-Serien und Filme helfen dabei. Beim Spielen mit Puppen könnten sie soziale Situationen durchdenken. "Und wenn Fehler auftreten, entschuldigen wir uns sehr schnell, besänftigen unser Gegenüber, sagen es tut mir leid, und kommen dadurch ganz gut durch. Dieses Verhalten ist weniger auffällig." Durch das ständige Entschuldigen werde die Maske immer besser, "so perfekt, dass keine Kraft dafür mehr übrig bleibt, wer man wirklich ist".
All das, so Opitz-Kittel, wäre nicht so tragisch, "wenn die Folgen nicht so tragisch wären". Sie sprach von schweren Depressionen, Angststörungen, Borderline, selektivem Mutismus, bei dem aus Angst mit einzelnen Personen nicht gesprochen werden kann. Heranwachsende Mädchen verstünden ihre körperlichen Veränderungen nicht, weshalb sie durch krankhaftes Hungern (Magersucht), diese Veränderungen zu unterdrücken versuchten. Die Ärzte, so klagt sie, sehen zu häufig nur die Symptome, verstehen aber nicht, woher die Krankheiten kommen. Zu viele Fehldiagnosen seien die Folge.
Opitz-Kittel spricht deshalb nicht ohne Grund von vielen auch gut maskierten Autistinnen, die eine Diagnose bräuchten, weil sie Hilfe brauchen. "Es ist nicht gut, von Event zu Event zu gehen und dann zuhause zusammenzubrechen." Sie wünscht sich deshalb besser ausgebildete Ärzte. Und an die Frauen gerichtet unterstreicht sie, dass es nicht gut sei, sich hinter der kopierten Maske zu verstecken: "Wir sind viel zu viel angepasst!"