Die Geschichte zeigt: Die Verwischung von wirklicher und digitaler Welt ist Wirklichkeit geworden. Smartphones, Tablets und SmartTV gehören schon längst zum Alltag von Kindern. Forschungen zur "Kindheit 4.0" sind allerdings noch rar.
Das Referat Kindertageseinrichtungen des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg hat vor diesem Hintergrund ErzieherInnen vor allem aus den rund 450 katholischen Kindertageseinrichtungen zu seinem Fachtag "Kindheit 4.0 - Spielen und Lernen analog bis digital" am Donnerstag nach Augsburg eingeladen. Diözesan-Caritasdirektor Domkapitular Dr. Andreas Magg freute sich über die rege Teilnahme am Fachtag. Pädagogik heiße ja, das Kind in das Leben zu führen. "Deshalb müssen wir uns der Frage stellen, was man begleitet, was man in die Hand des Kindes geben soll oder darf oder was man zurückhalten soll." Auf jeden Fall, so Mechtild Teuber, Leiterin des Referates Kindertageseinrichtungen der Caritas, müssen wir uns damit auseinandersetzen. "Wir wollen die Erzieherinnen in den Kindertagesstätten dazu ermutigen und ihnen Kriterien an die Hand geben, damit sie digitale Geräte in guter pädagogischer Weise in die Kindertagesstätten mit integrieren."
Wie die Realität tatsächlich aussieht, dazu hat Gisela Schubert vom JFF - Institut für Medienpädagogik
Gisela Schubert vom JFF - Institut für Medienpädagogik in München.Bernhard Gattner
in München Forschungsergebnisse aus dem Projekt "MoFAm - Mobile Medien in der Familie". Kinder, so Schubert, würden Medien schon sehr früh nutzen. Sie registrierten, welche Medien genutzt werden, und imitieren das Medienverhalten der Eltern. Ab dem Lebensalter von einem bis eineinhalb Jahren verstünden sie, wie die Medien mit dem Berühren des Fingers funktionieren. Mit drei Jahren fangen sie an die verschiedenen Angebote zu entdecken, ab fünf Jahren integrieren die Kinder die Geräte in ihren Alltag. Im Vorschulalter hätten bereits die Hälfte er Kinder eigene Smartphones, ein Drittel nutze relativ umfassend das Internet. Wie die Nutzung tatsächlich dann aussehe, hänge ganz stark von den Wertvorstellungen der Eltern ab. Das unterstrich auch Dr. Mirjam Weis von der Technischen Universität München in ihrem Vortrag. Sie stellte Ergebnisse ihrer Umfrage vor, die wissen wollte, was Eltern über die Nutzung von Smartphones und Tablets bei Kindern im Alter von null bis drei Jahren denken.
Gegen eine Pauschalisierung wandte sich auch Dr. Volker Mehringer, Erziehungswissenschaftler und Spiel- und Spielzeugforscher an der Universität Augsburg. Es bestünde auch kein Grund zu einem kulturellen Pessimismus. Schon früher habe man immer wieder diskutiert, ob ein Schwert oder eine
Dr. Volker Mehringer, Erziehungswissenschaftler und Spiel- und Spielzeugforscher an der Universität Augsburg.Bernhard Gattner
Pistole ein sinnvolles Spielzeug sei. Er wollte deshalb den Blick lieber auf den spielpädagogischen Nutzen gerichtet wissen, was eben ein Spiel für Kinder gut mache. Zweckfreiheit, Freiwilligkeit, Intrinsische Motivation, Spaß, Freude Vergnügen, Quasi-Realität , handelnde Auseinandersetzung mit der vorgefunden Wirklichkeit und die Ambivalenz im Spielen seien die entscheidenden Merkmale. Diese Merkmale könne man, so Dr. Mehringer, auch bei digitalen Spielen antreffen. Motiviert das Spiel, zieht es das Kind "rein", so dass es voller Begeisterung ununterbrochen lange spielt ("Das ist an sich was Gutes."), fördert es das Kind dabei, die eigenen Emotionen zu steuern und soziale Kompetenzen zu entwickeln? Dr. Mehring ging es deshalb weniger um die Frage, ob digital oder analog. Es komme vielmehr bei beiden Formen auf das Genre, den Spieler und den Kontext an und wie das Kind damit umgeht. Eine pauschale Kritik am digitalen Spielen hält er deshalb für nicht gerechtfertigt.
Kritisch bewertete Dr. Mehringer allerdings digitale Spiele, in die ein Rückmelde- und Gratifikationssysteme eingebaut seien. "Wow, das hast Du toll gemacht!" solche Sprüche binden die Kinder an das Spiel. Beim Spielen mit Lego-Steinen müsse man sich selber loben oder sei auf die Eltern angewiesen. "Die analoge Spiele verlieren dadurch ihren Reiz. Sie führen aber eher an das wirkliche Leben heran, das automatische Rückmeldungen und Gratifikationen eben nicht kennt."
Dr. Mehringer wie Schubert oder Teuber, ihnen allen ist klar, dass die Entwicklung weiter voranschreiten wird und sie auch viele Chancen berge. Aber, so Dr. Mehringer, "wir müssen uns die nötigen Kompetenzen aneignen." Medienkompetenz sei wichtig. Ebenso weitere Forschungen zur digitalen Spielepädagogik. "Vor allem aber brauchen wir immer kritisch denkende Fachkräfte, die sich darauf einlassen."
Dr. Mirjam Weis gab am Ende ihres Vortrages dazu Leitfragen den ErzieherInnen mit auf den Weg, die
Dr. Mirjam Weis von der TU München.Bernhard Gattner
ihnen helfen können, die Lernwirksamkeit digitaler Medien zu beurteilen. Wird das Kind aktiv in Lernprozess eingebunden? Werden die Kinder durch unwichtige Informationen abgelenkt? Wird das Kind angeregt, aus dem Spiel Bezüge zum eigenen Leben herzustellen? Werden Prozesse eingeübt, die im Alltag nötig sind? Und schließlich, ob das Spiel Möglichkeiten zur sozialen Interaktion bietet und einen Wissenserwerb in den Gruppen durch Interaktion mit den anderen Kindern ermöglicht? Werden digitale Medien eingesetzt, bestehe die Chance, von Anfang an die Kompetenzen im Umgang mit den digitalen Meiden zu fördern.
Die "hohe Kunst" bestehe dabei darin, die Chancen zu erkennen, das Negative aber nicht zu übersehen, brachte es schließlich Eva Reichert-Garschhammer, die stellvertretende Direktorin des Instituts für Frühpädagogik (IFP) in München, auf den Punkt.