28 Jahre Einsatz für Vorurteilslosigkeit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit und ein gutes Miteinander von einheimischen und zugewanderten Menschen
Mindelheim/Memmingen/Augsburg, im Dezember 2020 (pca). Es gibt Menschen, die so im Einklang mit ihrer Aufgabe stehen, dass man automatisch an sie denkt, wenn man nur das Aufgabenfeld nennt. Annemarie Möhring ist so ein Mensch. Wenn man in Mindelheim und Memmingen von Aussiedlern, Flüchtlingen und Asylbewerbern spricht, spricht man sofort von der "Frau Möhring von der Caritas". 28 Jahre hat sie nun sich beim Caritasverband für die Diözese Augsburg in dessen Auftrag für Menschen eingesetzt, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verlassen mussten und als Fremde im Landkreis Memmingen-Unterallgäu ankamen. Zwei Mal erhielten Initiativen, die sie angestoßen hatte, die Silberdistel der Augsburger Allgemeinen.
Ende Dezember 2020 endet nun ihr Dienst für die Flüchtlings-, Asyl- und Migrationsberatung der
28 Jahre lang hat sie sich als Beraterin mit Herz und viel Engagement für ein gutes Miteinander von einheimischen und zugewanderten Mitmenschen eingesetzt, dabei vieles angestoßen und so dafür gesorgt, dass Vorurteile abgebaut und mehr Gerechtigkeit gewährleistet wurde. Nun geht Annemarie Möhring zum Ende des Jahres in den Ruhestand. Bernhard Gattner
Caritas in Mindelheim und Memmingen. Am 1. Januar 2021 beginnt für sie der Ruhestand. Augsburgs Diözesan-Caritasdirektor Domkapitular Dr. Andreas Magg ist dankbar für Möhrings Engagement und vielfältige Arbeit für ein gutes menschliches Miteinander. "Unser Caritas-Motto lautet Mensch sein für Menschen. Frau Möhring hat es beispielhaft in die Tat umgesetzt."
Dankbar blickt sie auf so vieles zurück, was sie anstoßen und bewegen konnte. Was sie unglücklich stimmt, ist, dass die Corona-Pandemie es ihr verwehrt, sich persönlich verabschieden zu können bei den vielen Ehrenamtlichen und Mitstreiterinnen anderer Dienste und Einrichtungen. "Ich hätte es so gerne getan", betont sie.
Menschen liegen ihr schon immer am Herzen. Fremde Menschen, deren Kulturen, Sozialverhalten und ihr gesellschaftliches und politisches Denken haben sie stets fasziniert, insbesondere der Menschen aus dem Orient und dem Nahen Osten. Nach ihrem Abitur 1975 machte die Münchnerin zunächst eine Pflegeausbildung. Danach ging sie sehr bald nach "Berlin-West", um dort Sozialpädagogik zu studieren. Die damals noch geteilte Stadt mit ihrer Insellage inmitten der früheren DDR unterschied sich auffallend durch ihre kulturelle und nationale Vielfalt von ihrer Heimatstadt. Neben ihrem Studium engagierte sie sich in der dortigen Migrantenszene. In einem Stadtteilprojekt traf sie auf Türken, Kurden, Iraner - darunter auch Auslandsstudenten - sowie politisch verfolgte Personen aus unterschiedlichsten Ländern.
Eines war und ist ihr zuwider: Vorurteile, die darauf beruhen, dass man die Menschen nicht kennt und nichts über sie wissen will. So sah man sie damals in Berlin bei allen möglichen Veranstaltungen, unabhängig derer politischen Ausrichtungen. "Ich wollte wissen, was meine Klienten bewegt, was sie denken, wo sie falsch lagen." Ein wichtiger Ansatz zur Lösung von Problemen war und blieb deshalb für ihre ganze berufliche Laufbahn: "Man muss die Menschen zusammenbringen, nur so verschwinden die Vorurteile."
Als sie nach ihrem Studium nach München zurückkehrte leitete sie in den 1980er mit einem Kollegen das Stadtteilprojekt "Aktiv für Interkulturellen Austausch e. V. " (AKA) in München-Haidhausen. Damals schon war die Situation für Menschen mit Migrationshintergrund nicht einfach. "Zuwanderer wurden am Arbeitsplatz gezielt benachteiligt. Gerechtigkeit galt für sie nicht."
Missstände überwinde man aber nur im Miteinander. Das gelte für alle Seiten, so Möhring. Als dann Jahre später nach ihrem Umzug ins Unterallgäu und ihrer Anstellung im Caritasverband Anfang der 1990er Jahre viele Aussiedler aus Russland und Kasachstan in Mindelheim ankamen, bat sie die Bürger um Mithilfe. "Ich suchte Ehrenamtliche, die da mitmachen wollten", erzählt sie. Die Reaktion sei "gigantisch" gewesen. Mehrere einzelne Initiativen entstanden im Landkreis. Man veranstaltete Info-Abende, Sommerfeste, Tanzabende und Nikolausfeiern, bot Sprachkurse und Hausaufgabenbetreuung an, gründete einen Chor, und gab Hilfestellung, damit die neuen Mitbürger sich im deutschen Alltag zurechtfanden. Eine Beratungsstelle allein, wo Einzelprobleme und Sachfragen geklärt werden, kann nur begrenzt Gemeinwesenarbeit leisten. "Die Arbeit der Ehrenamtlichen war und ist deshalb unschätzbar wertvoll", unterstreicht sie. Dass der Aussiedlerkreis Unterallgäu 1998 mit der Silberdistel der Augsburger Allgemeinen geehrt wurde, freut sie nicht nur. "Das war wirklich verdient."
Als 2002 die Aussiedlerübergangsheime im Landkreis wie geplant in Sozialwohnungen umgewandelt wurden und damit der Bedarf zurückging, die Flüchtlingsberatung wegen weiterer Zuwanderung sich auf Außenstellen im ganzen Landkreis Unterallgäu ausdehnte, rief sie das "Sozialmobil" ins Leben. Fortan war auch ein kleines Wohnmobil ihr Büro. Als 2003 aber die Aussiedlerarbeit in Memmingen und die große Flüchtlingsunterkunft in Mindelheim mit 150 Plätzen dazu kamen, musste die Arbeit mit dem Sozialmobil leider wieder eingestellt werden.
Um den großen Vorbehalten in der Bevölkerung gegen die Flüchtlingsunterkunft in Mindelheim damals entgegen zu wirken, gründete sich auf Initiative von Caritas, Stadt Mindelheim und einiger engagierter Ehrenamtlicher der Integrationskreis Mindelheim. Neben zahlreichen neuen freiwilligen HelferInnen waren auch Ehrenamtliche aus dem früheren Aussiedlerkreis dabei. Hausaufgabenhilfen, Sprachkurse und viele einzelne ehrenamtliche Begleitungen, sowie Freizeitangebote für und mit Flüchtlingen sowie Einheimischen, ließen die Vorbehalte weitestgehend verstummen. Hilfreich war dabei, dass Möhring als Caritas-Beraterin und die vielen Ehrenamtlichen ihre Unterstützung dauerhaft und nachhaltig einbrachten. "Kontinuität ist wichtig, für die Klienten, für die Ehrenamtlichen und auch für das Gemeinwesen, das gesellschaftliche und soziale Zusammenleben vor Ort", so Möhring. Diese Arbeit des Integrationskreises zeigte Wirkung und wurde schließlich 2009 wiederum durch die Augsburger Allgemeine mit der Silberdistel ausgezeichnet.
Zeitgleich begann für Möhring in Memmingen eine weitere sehr gute Kooperation im Rahmen der Aussiedler- und Flüchtlingsberatung. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jurij Borodkin vom Projekt MIR des Stadtjugendamtes Memmingen startete sie das Projekt "Migration Integration Gemeinschaft" (kurz MIG) im Memminger Osten. Auch hier ging es einerseits darum, durch Beratung und Begleitung Menschen dabei zu helfen, Probleme zu lösen - sei es zuhause in der Familie oder bei gesundheitlich-medizinischen oder sozialen Schwierigkeiten und Hindernissen. Das MIG-Projekt griff ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Ehrenamtlichen auf und appellierte an die gemeinsame Verantwortung aller in Memmingen, für ein gutes Miteinander dadurch zu sorgen, dass man aufeinander zuging - von beiden Seiten. "Das war nicht wenig Arbeit, die da reingesteckt wurde. Aber es hat viel Spaß gemacht, auch mitzuerleben, wieviel Gutes und wieviel Gemeinsamkeit dabei entstand", so Möhring. Es war und ist ein sehr wichtiges und gutes Projekt für den Memminger Osten.
Von 1992 an war Annemarie Möhring in Mindelheim, Memmingen und im Landkreis alleine für die Migrationsberatung der Caritas unterwegs und zuständig. Die Kilometer, die sie auf der Straße verbrachte, hat sie nie gezählt. Auch wenn damit für sie sehr viel Arbeit verbunden war, so denkt sie im Rückblick doch nur an die vielen guten Begegnungen, die "tollen" Menschen, die sich mit ihrer Haltung, ihren Überzeugungen und ihrem Können als verlässliche Partner der Mitmenschlichkeit erwiesen.
Aber auch an so manche Erfolge erinnert sie sich gern. Möhring kennt viele Menschen, auch jene, die bereit waren, ihre Arbeit mit finanziellen Mitteln zu unterstützen. Eine alleinerziehende Mutter aus Kirgisien mit sechs Kindern, davon eines erkrankt und eines schwerbehindert, brauchte mehr als nur eine Beratung. Sie brauchte ein Auto. Ihr erkranktes und das behinderte Kind brauchten medizinische Spezialbehandlung. Ohne Auto hätten ihre Kinder diese nicht bekommen können. Möhring hatte Erfolg. "Die Mutter ist heute noch dankbar dafür. Auch fährt sie immer noch das Auto." Ein breites Grinsen zeigt Möhring, als sie erzählt, wie es ihr gelungen ist, einen stark körperbehinderten Kosovaren mit Hilfe eines Chefarztes von der Liste für die Abschiebungen streichen zu können. "Alles andere wäre auch unmenschlich, unchristlich und schlichtweg unverständlich gewesen.
Erst ab 2013 bekam sie Unterstützung durch weitere Kolleginnen in der Flüchtlingsberatung, nachdem im alten Möbelhaus eine neue Flüchtlingsunterkunft mit über 100 Plätzen eröffnet wurde und nach und nach viele dezentrale Unterkünfte im Landkreis entstanden. Dennoch war sie immer noch von Büro zu Büro unterwegs - bei den Menschen, für die sie zuständig war. Das wollte sie auch bis zum Schluss so aufrechterhalten. Auch ihr Büro im Caritas-Seniorenzentrum St. Georg in Mindelheim war ihr deshalb wichtig, in unmittelbarer Nachbarschaft zur "Mindelheimer Tafel", denn "genau dorthin kommen auch viele meiner Klienten." Dass ihr Nachfolger René Moser, der ab Februar 2021 die Migrationsberatung übernimmt, den Standort behalten wird, findet sie gut. "Integrationsberatung muss ihren Platz dort behaupten, wo die Menschen mit Migrationshintergrund auch anzutreffen sind."
Möhring freut sich nun riesig auf ihren Ruhestand, ihren Garten, dass sie mehr Zeit für ihre Hobbies und ihre Familie haben wird. Eines bleibt aber ihr erhalten. Wenn sie in Mindelheim oder Memmingen unterwegs sein wird, dann wird sie mit Sicherheit immer wieder ehemaligen Aussiedlern, Flüchtlingen und Asylbewerbern wie auch viele Ehrenamtlichen begegnen, die sie an gemeinsame schöne und abwechslungsreiche Aktionen erinnern werden, auch daran, dass es sich gelohnt hat, sich für Gerechtigkeit, Vorurteilslosigkeit und Mitmenschlichkeit einzusetzen.